Es war mal wieder einer dieser Tage in meinem manchmal doch etwas chaotischen Leben, wo einfach alles schief lief. Meinen Wecker hatte ich vergessen zu stellen, war in Rekordzeit von Schlafanzug in Hemd und Jeans vom Vortag gefahren und saß nun stinkend wie eine ganze Kneipe nach Mitternacht in meinem Cabrio, dessen Dach natürlich beim heutigen Dauerregen mal wieder einen Aussetzer hatte. Auf Höhe der Friedenheimer Brücke klatschte mir ein milchig-matschiger undefinierbarer Fetzen vor die Windschutzscheibe und ließ mich eine Vollbremsung hinlegen. Zum Glück fuhr niemand dicht hinter mir und ich parkte den Wagen geistesgegenwärtig am rechten Straßenrand. Ich bemerkte eine tiefe Frauenstimme, die deftigste bayerische Schimpfwörter von sich gab. Meine Lupe zückend schaute ich um mich. Wie ein wild gewordenes Vogelgrippe-Huhn schmiss eine Blondine stapelweise Papier aus dem Fenster eines Wohnhauses auf einen muskelbepackten Mann im Blaumann, der sich zum Schutz einen Bauhelm aufgesetzt hatte. Wurde ich hier Zeuge eines Papierstaus? Definitiv einen neuen Fall für Kommissar Krumm erahnend, baute ich mich mit meiner großen wie breiten Statur vor ihnen auf. Die Blondine starrte mich hypnotisierend an und erst jetzt stellte ich durch meine vom Regen besprenkelten Brillengläser fest, dass es sich um niemand geringeren als die Chefsekretärin von Breitlang handelte. Die Baufirma war seit Jahren treuer Kunde von Tatort Office und ich war es gewohnt, die Büromaterialien an alle möglichen Baustellen in der Stadt zu liefern. Das hier war allerdings offensichtlich eine Baustelle anderer Art. Ich tippte auf Korruption und Schmiergeld, wie sie in der Baubranche ja oft üblich waren. Ich lotste die beiden von Fenster und Straße weg und ließ mir in der Wohnung von Frau Schmitt, die hinlänglich für ihren strengen Ton bekannt war, den Tathergang schildern. Der Mann hieß Pawel, kam aus Polen und war als Bauarbeiter bei Breitlang beschäftigt. Er hatte offensichtlich in früheren Zeiten das harte Herz der Erika Schmitt erweichen können, sich nun aber heftigen Ärger mit ihr eingehandelt. Nicht auf den Mund gefallen, erzählte Frau Schmitt, sie hätte ihren Pawel heute morgen dabei erwischt, wie er Papier in ihrer Küche stapelte, dass definitiv aus dem Bürolager von Breitlang stammte. Ich tat sehr wissend und schaute sie so vertrauenserweckend wie möglich durch meine dicken Brillengläser an. Sie schilderte den Tathergang, wobei sie ihren Pawel mit strengem Blick fixierte. Er hatte ihr gestanden, dass seine Verwandten so angetan von der Papierqualität des Breitlang’schen Druckerpapiers gewesen seien, als er einmal einen Brief in die Heimat auf diesem Papier geschrieben hatte. Darauf hin hatte er sich gedacht, er tue seiner Familie angesichts der Armut in Polen etwas Gutes, indem er ihnen ein paar Pakete zum Weiterverkauf schicken würde. Da er durch seine Freundin, die das Büromittellager voll mit feinsten Krumm-Produkten verwaltete, leicht an den Schlüssel kam, habe er sich eines Abends nach Feierabend ins Lager geschlichen und mit Hilfe eines Breitlang-Baufahrzeuges die Ware abtransportiert. Frau Schmitt brach nun endlich in Tränen aus, wünschte Pawel zur Hölle und gleichzeitig an ihr Herz. Dies war eindeutig ein Fall von Liebe, so viel verstand sogar ich. Tief in meinem Innersten hatte auch ich ein verdammt großes Herz. Ich ließ die beiden mit ihrem kleinen Desaster allein. Frau Schmitt würde einfach die restlichen Papierstapel heimlich zurück ins Lager tun und alle wären zufrieden. Ich strich mir zufrieden über meinen kugelrunden Bauch und blinzelte der Sonne entgegen, die inzwischen hervor gekommen war. Ich kaufte ein zweites Frühstück ein und lud Mr. Walbroel zum Frühstück ein. Manchmal konnte ich richtig großzügig sein...
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